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Die Kanzlerin kommt ungeschoren durch den Wirecard-Ausschuss. Sie demonstriert, wie gefährlich ihre Machtmaschine für ihre Gegner ist. 

Entschuldigung, sagt Angela Merkel im Wirecard-Untersuchungsausschuss mitten in der Vernehmung. Sie nimmt ihr klingelndes Handy, und tritt aus dem großen Rund des Tisches, um den die Mitglieder des Ausschusses  sitzen,  nach hinten, spricht einige wenige Worte, den Kopf nach unten geneigt. Alle starren auf die Kanzlerin. Ihr Handy hat geläutet, und wir waren dabei. Biden?, fragt ein Beobachter leise eine Kollegin auf der Tribüne. Wenn die Nummer eins in der Macht-Hierarchie eines Landes angerufen wird, denkt eben niemand an den Ehepartner oder die Haushaltshilfe.

So, sagt, Merkel, setzt sich wieder hin und faltet die Hände über ihrem Manuskript. Es kann weitergehen. Die Kanzlerin hört alle Wortmeldungen geduldig an. Manchmal nickt sie heftig, oder schüttelt den Kopf, verzieht den Mund – also, ich bitte Sie! Sie fummelt an einem schwarzen Verband herum, den sie um den Mittelfinger der linken Hand trägt. Manchmal hält sie sich an ihrem schwarzen Filzschreiber fest.

Sie notiert kein Wort. Einmal antwortet sie einem Abgeordneten, obwohl ein anderer die Frage gestellt hat. Kann passieren, niemand nimmt es ihr übel. Die Abgeordneten aller Parteien reden gerne mit ihr. Im hermetischen Getriebe des Berliner Politikbetriebs haben sich nach 16 Jahren alle im Kosmos der Kanzlerin ihren Platz gesichert.

Merkel hat das politische Berlin, das früher in Bonn war, geprägt und verändert wie kein anderer Politiker vor ihr. Der Linke Fabio De Masi sagt nach dem Auftritt der Kanzlerin, dass Merkel so uneitel sei, dass man glauben könnte, sie wisse bestimmte Dinge wirklich nicht. Daher gingen ihr viele auf den Leim. Er glaube aber immer eher den Akten als den Politikern.

AFPAngela Merkel vor dem Ausschuss.

Eine besondere Wirecard-Sitzung

Angela Merkel wirkt leutselig im politischen Betrieb, der irgendwie um sie herum kreist. Auch am Freitag im Europa-Saal des Paul-Löbe-Hauses herrscht eine andere Stimmung als sonst bei den Wirecard-Sitzungen: Die Polizei durchsucht vor dem Auftritt jeden Winkel des Saals. Findet sie einen vergessenen Schreibblock, wird er entsorgt. Er könnte explosives Material enthalten.

Die Blase um die Bundeskanzlerin herum ist ein Hochsicherheitsbereich. In dieser Blase bewegt sich Angela Merkel. Hier fühlt sie sich wohl, und lässt das andere spüren. Die Sicherheit gilt nicht nur für den Saal, sie gilt auch für die politischen Verhältnisse. Merkel hat ihre Truppen unter Kontrolle, die Räder greifen ineinander. Die Maschine der Macht läuft wie geschmiert. Heiter, routiniert und gnadenlos effizient.

Das bekommt am Tag vor dem Auftritt Merkels der Vizekanzler zu spüren: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat. Beim Wirecard-Skandal ist noch nicht klar, wer die politische Verantwortung trägt. Scholz präsentierte sich am Donnerstag aus Mann aus einer anderen Welt. Er besitze keine Aktien, sagte Scholz, nur einen Genossenschaftsanteil der Zeitung taz. Danach verkündete er, es gäbe für ihn keinen Grund zu einer Entschuldigung. Sein Ministerium habe keine Schuld auf sich geladen.

Das hätte er besser nicht gesagt: Der sonst eher nüchtern-unscheinbare CDU-Abgeordnete Matthias Hauer schaltet auf Shakespeare um: „Sprechen Sie bitte lauter, Herr Minister, sprechen Sie ins Mikrophon!“

Scholz spricht immer sehr leise, man versteht ihn kaum im Saal. Trotzig sagt er: „Nein. Ich spreche, wie ich spreche.“ Doch die Attacke war nur die Ouvertüre: Die Union wirft Scholz vor, dass er Wirecard betreffende, dienstliche E-Mails, über seinen privaten Account verschickt habe. Damit sei klar: Der Ausschuss verfüge nicht über alle Informationen. Staatliche Stellen müssen ihre Kommunikation „verakten“, wie das im Jargon der Bürokrartie heißt. Scholz ist überrumpelt. Die anderen Parteien stimmen in die Empörung ein, die Sitzung wird unterbrochen.

Nach aufgeregten Beratungen rügt mit ernster Miene der Vorsitzende des Ausschusses, Kay Gottschalk, von der AfD den SPD-Kanzlerkandidaten. Es sei ein sehr ernster Verstoß gegen den Beweisbeschluss Nummer 12. Er müsse Scholz im Namen aller Parteien nun bitten, zu erklären, welche anderen Kommunikationskanäle er nutze, und unter Umständen E-Mails, Textbotschaften und dergleichen nachreichen.

Scholz sagt trotzig, er benutze nichts anderes und überhaupt, er lösche seine E-Mails und Textnachrichten immer gleich. Er spricht noch leiser, noch weniger. Man möchte ihn trösten. Er gilt nämlich als sehr korrekt. Als die SPD-Abgeordneten am Abend eine E-Mail finden, die belegt, dass Scholz die private E-Mail kopiert und pedantisch zur „Veraktung“ ans Ministerium geschickt hatte, ist es zu spät: Die Geschichte mit den privaten E-Mails ist draußen. Scholz steht in einem schlechten Licht da.

AFPAngela Merkel berichtet über Wirecard

Eine verhängnisvolle Email

Die SPD ballt die Faust in der Tasche, schwört Revanche. Doch sie hat keine Chance: Sie kann nicht zum Gegenangriff blasen. Denn das Bundesfinanzministerium hat laut einer Email der Finanzaufsicht Bafin, die der Berliner Zeitung vorliegt, einen schweren Fehler gemacht: Herr C. aus dem Ministerium hatte der Bafin im August 2019 geraten, es solle „kein neuer Sachbericht“ über Wirecard an das Bundeskanzleramt übermittelt werden.

Mit einem solchen wäre deutlich geworden, dass gegen Wirecard Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft wegen der „Verletzung von Finanzberichterstattungspflichten“ laufen. Wäre dies dem Bundeskanzleramt bekannt gewesen, hätte Merkel mit großer Wahrscheinlichkeit Wirecard nicht bei einem Staatsbesuch in China empfohlen. Die SPD weiß das, und die CDU auch. Die Email ist ein Killer. Der SPD sind die Hände gebunden. Scholz hat verloren.

Angela Merkel ist von all diesen Kabalen bei ihrem Auftritt natürlich nichts anzumerken. Sie erscheint im milden Licht einer langen Regentschaft. Trotzdem ist sie extrem wachsam für Gefahren: Sie sagt, dass die gesamte Finanzaufsicht in Deutschland im Fall Wirecard „nicht objektiv“ vorgegangen sei. Sie sagt, dass sie Karl-Theodor zu Guttenberg künftig sagen werde, er solle sie „nicht mit Fachfragen behelligen“. Guttenberg hatte Merkel bei einem spontanen Tee im Kanzleramt das Lobbying für Wirecard in China eingebrockt.

Niemand weiß bis heute, wie das alles wirklich gelaufen ist. Sie sei eigentlich sehr selektiv bei ihrer Terminvergabe, sagt Merkel: „Ich sage mehr Termin ab als ich zusage, und trotzdem ist mein Tag voll.“ 

Für Guttenberg hatte sei Zeit. Sie empfing den Wirecard-Lobbyisten ohne Agenda, ohne Zeugen: „Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, dass ich Gesprächswünschen früherer Mitglieder meiner Bundesregierung nachkomme.“ Sie sagt: „Ich kann mich nicht erinnern, dass Guttenberg Wirecard erwähnt hat, ausschließen kann ich es nicht.“

Ihr Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller habe die Sache übernommen. Danach habe die Organisation entschieden, dass Merkel Wirecard in China empfehlen solle: „Es wurde mir eine Bewertung gemacht: Kann ich das ansprechen oder nicht, und dann wurde gesagt: ich kann, und ich habe es angesprochen.“ 

Fabio De Masi fragt, ob denn nicht irgendjemand sich das Unternehmen vorher angesehen habe, ob es einen Check gegeben habe. De Masi: „Wenn ich jetzt zu Ihnen käme und würde Sie bitten, sich für den FC St. Pauli einzusetzen, das ist immerhin ein Bundesligaverein, da hätten Sie doch sicher irgendwo einen Bürodrachen sitzen, der das verhindert.“ Merkel weicht aus: „Es gab keine schwerwiegenden Bedenken.“ Der FDP-Abgeordnete Florian Toncar fragt: „Was sind denn aus Ihrer Sicht schwerwiegende Bedenken?“ Merkel murmelt etwas von „staatsanwaltschaftlicher Verurteilung“. Keiner fragt nach.

Ob sie sich benutzt fühlt? Merkel widerspricht energisch. Dazu gehörten immer zwei: „Es ist ja nicht so, dass ich der Sache nicht intellektuell Herr gewesen wäre, und einfach gesagt hätte, selbstverständlich, lieber Karl Theodor zu Guttenberg, so machen wir das jetzt!“

Die Guttenberg-Nummer kostet Merkel besonders aus, weil alle auf den abwesenden Freiherrn einschlagen: Hans Michelbach sagt, Guttenberg habe ihm die Freundschaft aufgekündigt, weil er sich im Ausschuss kritisch über ihn geäußert habe. Michelbach entschuldigt sich bei allen Geschädigten für seinen Partiekollegen. Cansel Kiziltepe von der SPD hält manches für zu billig. Sie sagt dieser Zeitung: „Dahinter steht ein systemisches Problem.“ 

Merkel bleibt auch in der Aufarbeitung ambivalent: „Ich würde heute vielleicht schon fragen, welche Verquickung Herr Guttenberg mit der Sache hat.“ Über ihren Wirtschaftsberater Röller lässt sie aber nichts kommen: „Wo beginnt Lobbyismus, wo ist es edle Interessenvertretung?“ Ob sie heute noch Kontakt mit Guttenberg habe? Der Kontakt sei „erstorben“, sagt sie ohne Emotionen. 

Der Grünen-Abgeordnete Danyal Bayaz fragt zum Leerverkaufsverbot, das von der Bafin verhängt wurde und von dem Wirecard profitierte: „Das Leerverkaufsverbot der Bafin beruhte auf einer Verschwörungstheorie, dass Bloomberg und die Financial Times gegen Wirecard vorgehen wollen. In der internationalen Finanzbranche schlägt man sich die Hände über dem Kopf zusammen, wie eine Aufsicht das so machen kann. Haben Sie sich mit dem Leerverkaufsverbot beschäftigt?“ Merkel sagt: „Ich habe erst im Nachhinein davon gelesen, dass das so eine große Sache war. In der Finanzkrise hat man gesagt, dass ein Leerverkaufsverbot sogar eine gute Sache sein kann. Aber ich bin kein Finanzexperte.“

Das alles sagt Angela Merkel vor ihrem Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss, der wohl der letzte in ihrer Amtszeit sein wird. Man spürt, die politische Blase, in der sie lebt, ist intakt.

Nur einmal gibt es eine Störung: Ein in den Ausschuss entsandter Ministerialbeamter moniert, dass von der Brücke über die Spree Fotografen ihre Teleobjektive in den Saal richten. Man habe doch versprochen, dass die Polizei einschreiten werde. „Die müssten doch schon genug Motive haben“, brummt Merkel. Es wird beschlossen, die Rollläden herunterzulassen.

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