Geheimdienste dürfen künftig hacken, wie sie wollen. Darauf haben sich Kanzlerin, Vizekanzler und Innenminister geeinigt. Experten sind besorgt.
Deutsche Geheimdienste dürfen künftig Computer und Smartphones von Verdächtigen einer Ermittlung schneller und einfacher mit einem Staatstrojaner infizieren, berichtet der Spiegel. Darauf haben sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) geeinigt. Dem Entschluss ging ein monatelanger Streit voraus, der nun zugunsten von Bundesnachrichtendienst (BND), militärischem Abschirmdienst (MAD) und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) geschlichtet zu sein scheint. Den Geheimdiensten geht es darum, verschlüsselte Gespräche oder Chats mittels eines Staatstrojaners aufzudecken. In der Theorie beschränkt sich der Einsatz darauf, die Chats und Telefonate auf Smartphone oder Computer abzufangen. Praktisch kommt das Vorgehen aber laut Medienbericht der Online-Durchsuchung gleich: Bei beiden Ermittlungsmethoden kommt ein Staatstrojaner zum Einsatz, der den vollen Datenzugriff auf die Geräte der Betroffenen an sich reißt.
Überwachung und Durchsuchung: Der Unterschied
Die Online-Durchsuchung erlaubt Nachrichtendiensten den vollen Zugriff auf alle Daten, die auf dem Gerät des Verdächtigen gespeichert sind. Weil das so ist, dürfen Geheimdienste eine Online-Durchsuchung nur auf Basis einer richterlichen Anordnung durchführen. Diese Gewaltenteilung soll vor einem Machtmissbrauch durch die Geheimdienste schützen. Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung erlaubt dagegen nur den Zugriff auf Chats oder Telefonate. Entsprechend brauchen die Geheimdienste dafür keine richterliche Anordnung. Für sie gilt Paragraf 100a der Strafprozessordnung. Demnach reicht es, wenn „bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen“, dass eine Person eine Straftat begeht, um die Quellen-Telekommunikationsüberwachung durchzuführen. Da aber die Durchführung von Online-Durchsuchung und Quellen-Telekommunikationsüberwachung mittels des Staatstrojaners gleich ist, kann niemand kontrollieren, ob Geheimdienste bei einer Telekommunikationsüberwachung nicht ihre Macht missbrauchen und trotzdem weitere Daten auf dem PC oder Smartphone des Betroffenen durchforsten, obwohl dafür keine richterliche Anordnung besteht.
WannaCry vergessen? Sicherheitslücken schließen
Die Installation des Staatstrojaners erfolgt über Sicherheitslücken auf Computer oder Smartphone. Geheimdienste und Ermittlungsbehörden haben ein natürliches Interesse daran, diese offenzuhalten. Wie das enden kann, bewies der WannaCry-Virus: Die Schadsoftware nistete sich auf vielen Firmenrechnern über eine Sicherheitslücke ein, die der US-amerikanische Geheimdienst NSA herausfand und für sich behielt. So legte der Erpresservirus vor drei Jahren mehrere Unternehmen lahm. Bereits im Juni 2020 mahnte Linus Neumann, Sprecher des Chaos Computer Clubs: „Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung durch das BKA sollte ursprünglich nur bei schweren Straftaten eingesetzt werden. Dann wurden die Hürden immer niedriger gesetzt.“ Und weiter: In diesen ohnehin schon kritischen Fällen gebe es aber immerhin noch eine richterliche und öffentliche Kontrolle bei der Verhandlung. Auch das falle nun weg: „Der deutsche Inlandsgeheimdienst soll hacken dürfen, wen er will.“ So ist es nun wohl.
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